DIE LINKE. Fraktion im Rat der Stadt Rheine: Haushaltsrede 2019

DIE LINKE. Rheine

Haushaltsrede 2019 Fraktion DIE LINKE. im Rat der Stadt Rheine. Gehalten am 15.01.2019 von der Vorsitzenden der Fraktion Annette Floyd-Wenke. Der Redebeitrag kann vom Manuskript abweichen. Es gilt das gesprochene Wort.

 

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

 

„Weiter so!“

Mit dieser Losung hat der Bürgermeister den Haushaltsentwurf eingebracht und er hat in seiner Rede Beispiele angeführt, die seiner Einschätzung nach unsere Stadt damit auch zukünftig voranbringen werden, die von Bedeutung sein werden.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in meiner Haushaltsrede möchte ich, nein, muss ich auf diese Einschätzungen genauer eingehen, denn offen gestanden, haben sie mich einigermaßen verwirrt.

 

Was also wird für unsere Stadt künftig von Bedeutung sein?

Bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, da stimme ich dem Bürgermeister ausdrücklich zu. Allerdings wage ich zu bezweifeln, dass die Schaffung von 55 klimaschutzfreundlichen Wohnungen ausreichen wird, um den Bedarf tatsächlich zu decken und allein die Förderung zum Bau kleiner Wohnungen zu erhöhen, wird wohl auch nicht ausreichen. Der Bürgermeister spricht das gut funktionierende Netzwerk unserer Wohnungsgesellschaft mit dem Kreis und den Ministerien in Düsseldorf an. Die Erklärung, wie das zusätzlich sozialen Wohnungsbau schafft, darüber lässt er uns im Unklaren.

 

Die Stadt hat große Mengen an Gewerbeflächen verkauft und er deutet weitere interessante Verkäufe an. Ich vermisse hier mal ganz konkrete Aussagen, nämlich: Wie viele Arbeitsplätze wurden geschaffen? Was sind das für Beschäftigungsverhältnisse? Wie viel mehr Steuereinnahmen hat die Stadt dadurch erhalten oder zu erwarten? Wie sollen weitere Flächen für die hier ansässigen Unternehmen generiert werden? Das interessiert doch nicht nur uns hier im Rat der Stadt, das wollen auch unsere Bürgerinnen und Bürger wissen. Sie sind es, die unsere Wirtschaftsförderungsgesellschaft mit erheblichen Mitteln finanziert. Gleichwohl erfährt der Bürger in den öffentlichen Sitzungen viel zu wenig über die strategischen Ziele, Kompetenzen oder Netzwerke dieser Gesellschaft. Die in der Presse veröffentlichten Erfolgsmeldungen berichten über Kooperationen, geschlossene Verträge und lassen den Anschein erwecken, es handele sich hier um ein gewinnbringendes Unternehmen. Tatsächlich wird  aber der Nutzen für den Bürger weder konkretisiert noch durch den Bürgermeister als Aufsichtsratsvorsitzenden transparent dargestellt. Auch hier kann es ein „weiter so!“ nicht geben.

 

Wirklich seltsam aber finde ich seine Sichtweise auf den offensichtlichen Leerstand in unserer Stadt. Das Thema Innenstadtentwicklung würde also den Rahmen einer Haushaltsrede sprengen?

Vielleicht liebe Kolleginnen und Kollegen teilen Sie ja meine Auffassung, dass allein der Hinweis auf den guten Austausch mit den Innenstadtakteuren und dem Handelsverein weder eine Erklärung, noch eine Lösung für das nun wirklich jeden Bürger und Besucher der Stadt bewegende Thema ist. Was soll da der Hinweis auf die Frequenzmessungen der EWG, oder die Belehrung, dass die Einzelhandelszentralitätskennziffer unserer Stadt eine relativ hohe Kaufkraft bescheinigt? Nein, das zeigt eben nicht, dass die Richtung stimmt.

 

Also hier kann es nun wirklich kein „weiter so!“ geben! Es mutet ja schon fast ratlos an, wenn unser Bürgermeister konstatiert: „Der gesellschaftliche Wandel bestimmt, wie unsere Innenstädte aussehen. Hier können wir nur den Rahmen gestalten.“

Ja, aber genau darum geht es: Unsere Bürgerinnen und Bürger erwarten von uns und vom Bürgermeister mit seinem Stab an Stadtplanern, vom Gestaltungsbeirat, von den zahlreichen Akteuren Visionen. Vorschläge, wie die Innenstadt bewohnt, belebt und gestaltet werden kann. Ich weigere mich zu glauben, dass der gesellschaftliche Wandel nach noch mehr Handy-Shops und Nagelstudios in unserer Stadt verlangt.

 

Es reicht nicht, den Haushaltsplan mit einem halbseitigen Hinweis auf die gute Platzierung beim ADFC-Fahrrad-Klimatest, ein paar neuen Sportförderrichtlinien und einem kleinen Kulturförderplan einzubringen. Dass in Schulen und Kitas dringend investiert werden muss, und dank Förderprogrammen nun auch gebaut wird, ist nicht etwa besonderer Weitsicht geschuldet, es ist schlicht notwenige Pflichtaufgabe. Weitsichtig wäre, die Bedingungen für sich hier heimisch fühlendes Fachpersonal zu schaffen, die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf wirklich voranzutreiben.

 

Was unsere Stadt wirklich bewegt, was von echter Bedeutung ist, wo es gilt – und jetzt greife ich einmal das häufig zitierte „dem Bürger etwas zurückzugeben“ auf, das wird kaum erwähnt.

 

Dazu zählt auch einen bedarfsgerechten ÖPNV anzubieten, die Grundsteuer B jetzt zu senken, das Begegnungszentrum Dorenkamp zügig zu einem selbstverwaltetem Bürgertreff werden zu lassen, die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger für Innenstadtfeste und Weihnachtsmarkt aufzugreifen – und ja, auch über gebührenfreie Kitaplätze nachzudenken.

 

Dem Bürger etwas zurückzugeben bedeutet auch, die Gebühren für Musikschule, VHS-Kurse und z.B.  Eintrittsgelder für unsere Museen zu senken und vor allem bürgerfreundlichen Service anzubieten. Es kann doch nicht sein, dass auf der einen Seite Gebühren erhöht werden und gleichzeitig z. B. längere Wartezeiten oder gar Schließungen der Bürgerbüros in Kauf genommen werden müssen. Zudem warten wir alle auf den versprochenen und längst überfälligen Relaunch unserer städtischen Homepage mit einem breiten Angebot an Beratung und Service.

 

Im Stellenplan wird ein Mehrbedarf beschrieben, der auf gestiegene Fallzahlen, zusätzliche Aufgaben und der Bearbeitung von Förderanträgen zurückzuführen sei. Der genaue Personalmehrbedarf aufgrund der Organisationsuntersuchung der Feuerwehr ist noch nicht klar. Es heißt, dass ein ausgeglichener Haushaltsplan nur erstellt werden konnte, weil hier nur das absolute Minimum gefordert wurde. Das aber geht offenbar zu Lasten der Bürger und wird vom Verwaltungsvorstand noch befürwortet. Von uns jedenfalls nicht.

 

Hat unser Bürgermeister in 2017 noch mit einer Transparenzoffensive den Bürgern versucht den städtischen Haushalt zu erklären, und ließ er uns damit im Glauben, der Rat und die Bürgerinnen und Bürger würden in Entscheidungsprozesse tatsächlich eng einbezogen werden, so haben wir im vergangenem Jahr erkennen müssen, dass eine öffentliche Bekanntgabe von Absichten oder Entscheidungsprozessen seitens der Verwaltung vorzugsweise reaktiv vollzogen wird. Das belegen auch die zahlreichen Leserbriefe von Bürgerinnen und Bürgern, die ihren Unmut z.B. zum langsamen Baufortschritt auf dem Marktplatz kundtaten, oder auch die Beschwerdebriefe von Eltern, Marktbeschickern und Anwohnern in Baugebieten, die an uns Fraktionen gerichtet wurden.

 

Liebe Kolleginnen und Kollegen des Rates, eine letzte Anmerkung zur Haushaltseinbringung unseres Bürgermeisters sei mir gestattet:

 

Diese Rede fand ich insofern aufschlussreich, als dass sie meiner Einschätzung nach in Form und Bedeutung unterschiedliche Merkmale aufwies. Zum einen bedient sich unser Bürgermeister einer appellierenden Sprache, womit wir als Rat und somit Teilhabende adressiert werden. Damit wird der Schein gewahrt, den Entscheidungen wären rationale Diskussionen vorausgegangen und es wird unterstellt, dass wir in Folge dem Inhalt der Argumentation keine Beachtung mehr schenken. Andererseits habe ich deutliche Merkmale politischer Verhandlungssprache wahrgenommen, die mich zumindest in der Vermutung bestätigt haben, dass ein Echo auf das Gesagte in der  Öffentlichkeit unbedingt zu vermeiden ist, eine Auseinandersetzung also damit nicht anzustreben ist. Was bedeutet das aber für unsere Arbeit im Rat? Macht uns das, zumindest wenn es um die Abwägung von Prämissen im Sinne einer Maximierung gemeinsamer Werte geht, zu Ausgeschlossenen? Oder ist das die Aufforderung zu politischem Aushandeln jedweder Entscheidung? Ist damit „ein anderes Miteinander“ gemeint?

 

Für DIE LINKE im Rat der Stadt Rheine kann ich jedenfalls sagen, dass wir stets das öffentliche Interesse im Auge behalten werden, die Bürgerinnen und Bürger mit ins Boot holen werden, sie mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln informieren und „Interessen“ auf Kosten der Öffentlichkeit weder befürworten, noch durch Absprachen oder gar Kuhhandel hinnehmen werden.

 

Betrachten wir nun die Haushaltsrede unseres Kämmerers, so ist festzustellen, dass er seiner neoliberalen Linie treu bleibt. Glücklich darüber, wiederum eine „schwarze Null“ präsentieren zu können, verspricht er, die geplanten Investitionen mit nur geringer Nettokreditaufnahme stemmen zu können. Damit liegt er im Trend der Haushaltspolitik des Bundes und folgt der falschen Annahme, dies sei generationengerecht. Unter der Prämisse, keine neuen freiwilligen Aufgaben zu übernehmen und Budgetausweitungen nur bei unabweisbarem Bedarf zu finanzieren, soll weiter nach der Denkstruktur einer schwäbischen Hausfrau gehandelt werden – und eben nicht nach der eines schwäbischen Unternehmers. Führende Ökonomen kritisieren genau dieses Verhalten. Sie argumentieren, dass eben nicht nur Schulden vererbt werden, sondern auch ihnen entgegenstehende Vermögenstitel. Und es liegt doch auf der Hand, dass künftige Generationen selbstverständlich von öffentlichen Investitionen profitieren. Durch das Festhalten an dem Denkmodell der „schwarzen Null“ entstehen Verteilungsdefizite und Versorgungslücken. Wir meinen, dass wir unsere Investitionsmöglichkeiten und Handlungsspielräume nicht durch falsch verstandene Sparpolitik einschränken sollten.

 

Besonders hervorgehoben wird die Entwicklung der Gewerbesteuereinnahmen, deren Satz sich seit 2011 bekanntlich nicht geändert hat. Zwar machen die Gewerbesteuereinnahmen den größten Teil der Einnahmen in Rheines Steueraufkommen aus, aber dass sich unser Kämmerer nun explizit bei den Unternehmen dafür bedankt, das halten wir für absolut unangemessen und überflüssig. Immerhin entgehen der Stadt jährlich auch nicht unerhebliche Summen, durch Niederschlagungen von Steuerschulden.

 

Steigt zwar auch der Anteil an Einkommenssteuer, so wäre doch ein differenzierter Blick darauf nötig. Rheine wächst an Einwohnern, aber wie entwickelt sich das Einkommensniveau? Allein die Tatsache, dass ein Mehr an sozialversicherungspflichtig Beschäftigten zu verzeichnen ist, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir auch in Rheine einen nicht unerheblichen Anteil an Niedriglöhnen haben und prekäre Arbeitsverhältnisse weiter zunehmen.

 

Die Sozialausgaben steigen weiterhin an; sie machen einen großen Teil der Transferaufwendungen aus, aber nur darauf zu hoffen, dass der Bund hier Entlastung schaffen wird, sollte einen Stadtkämmerer nicht davon abhalten, um im städtischen Haushalt Gestaltungsspielräume zu schaffen. Dabei geht es nicht darum, die Bürgerinnen und Bürger weiter durch Gebührenerhöhungen und Steuern zu belasten, sondern auch auf kommunaler Ebene über eine Umverteilung der Lasten nachzudenken und soziale Ungerechtigkeiten abzufedern.

 

Wird uns also hier nun ein ausgeglichener Haushaltsentwurf vorgelegt, Bürgermeister und Verwaltung sind zufrieden, die Mehrheit des Rates stimmt einem „Weiter so!“ zu, so möchte ich als Sprecherin der Fraktion DIE LINKE Ihnen unsere Gründe für die Ablehnung zum Stellenplan und Haushalt darlegen:

 

Wir meinen, der Haushaltsplanentwurf setzt die falschen Prioritäten. Wenn nach drei Jahren ausgeglichenem Haushalt der Zeigefinger immer noch vor schlechten Zeiten warnend erhoben wird, dann fragen wir uns ernsthaft, ob eine Entlastung für die Bürgerinnen und Bürger überhaupt  geplant ist. Und dann stellt sich uns die Frage, welche Visionen sich hinter einem „Weiter so!“ eigentlich verbergen. Denn dass etwas verborgen bleibt, diese Wahrnehmung hat sich spätestens im letzten Jahr in der Öffentlichkeit breit gemacht.

 

Da ist zum einen der Umgang mit dem Bürgerbegehren in Sachen ÖPNV zu nennen, da werden von Ratsmehrheit und Verwaltung die erheblichen zu bewältigenden Aufgaben aus dem Investitionspaket genannt, die einer Senkung der Grundsteuer B entgegenstehen und wann unser Marktplatz endlich wieder nutzbar sein wird, wird auch nicht kommuniziert.

 

Wir vertreten die Auffassung, dass die Haushaltspolitik unserer Stadt zunächst darauf ausgerichtet sein sollte, die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger zu befriedigen. Das heißt: bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, ausreichend Kitaplätze, auch mit Randzeitenbetreuung, zur Verfügung zu stellen, Schulen räumlich und personell vernünftig auszustatten, für ein auskömmliches Einkommensniveau zu sorgen, Naherholungsgebiete zu erhalten und auszubauen, einen bedarfsgerechten ÖPNV anzubieten, sich um kulturelle Entfaltungs- und Teilhabemöglichkeiten auch für Jugendliche zu kümmern, Barrierefreiheit an allen öffentlichen Orten herzustellen  und die finanziellen Belastungen für die Bürgerinnen und Bürger auf einem geringen Niveau zu halten.

 

Stattdessen aber soll uns weisgemacht werden, es sei Pflichtaufgabe der Verwaltung:

ein Wellness-Hotel in Bentlage zu ermöglichen, ein Spaßbad sei notwendig, ein schöner Rathaus-Anbau sei unabweisbar, eine Bebauung am Anger sei sinnvoller als ein Park, Inklusion hat Zeit und es würden gute Arbeitsmarkt-Chancen entstehen, wenn drei Beschäftigte der Emstor-Werkstätten als „Saubermanntrupp“ unsere Schmuddel Ecken reinigen.

 

Diese Liste könnte ich noch weiterführen, aber das würde den Rahmen meiner Haushaltsrede sprengen. Eines ist mir aber noch wichtig in dieser Aufzählung – und das finde ich besonders skandalös: Da werden 80.000 € für eine völlig überflüssige Restbedachung des Busbahnhofs ausgegeben, oder gar Millionen für 1 km Straße, aber eine zumindest anschubweise kostenfreie Nutzung der Begegnungsstätte Dorenkamp für ehrenamtlich tätige Initiativen und Vereine wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Nachbarschaftliches, soziales Engagement wird offenbar nur dann wertgeschätzt, wenn es Pflichtaufgabe ist und an institutionelle und konfessionell gebundene Träger vergeben werden kann.

 

Und deshalb kann es für uns kein „Weiter so!“ geben. Wenn wir nicht jetzt umsteuern, der Rat für die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger nicht zugänglicher wird, die Bedürfnisse aller nicht mehr in den Blick nimmt, im Rat nicht wirklich ergebnisoffen debattiert wird, wenn der Bürgermeister seine Pläne und Entscheidungen nicht weit transparenter kommuniziert, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn wir spätestens zur Kommunalwahl mit Ergebnissen konfrontiert werden, die keinem von uns gefallen dürften.

 

DIE LINKE im Rat der Stadt Rheine sagt NEIN zu diesem Haushalt und einem „Weiter so!“ der opportunen Prioritäten.

 

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