„Angriffe auf die Demokratie“ - Vortrag des Soziologen Andreas Kemper in der VHS Rheine

Sollen Bezieher von staatlichen Leistungen überhaupt wählen dürfen? Gibt es Privatstädte,

die ganz ohne kommunale Verwaltung und staatliche Strukturen auskommen? Und was hat

die AFD und der Sturm aufs Kapitol im vergangenen Jahr in den USA damit zu tun?

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Gedenken und Erinnern auf Einladung der Partei Die
Linke beschäftigte sich am vergangenen Mittwoch der Soziologe Andreas Kemper mit diesen
Fragen in einem gut besuchten Vortrag in der VHS. Als Gäste machten die Sängerinnen und
Sänger des Chors Signale den Auftakt zur Veranstaltung mit einem thematisch passenden
musikalischen Beitrag.
Im ersten Teil seiner Ausführungen berichtete der Referent über die Firma Degussa, die im
Nationalsozialismus an schwersten Verbrechen beteiligt war, diese Geschichte aber
inzwischen historisch aufarbeiten lassen hat und nun Evonik heißt. Der nicht mehr benötigte
Namen wurde verkauft. Käufer der Namensrechte war 2010 der Milliardär August von Finck
junior, einer der 10 reichsten Männer Deutschlands. Es schien ihm passend, diesen belasteten
Namen für die Unternehmensgründung seines Edelmetallhandels Degussa Goldhandel zu
verwenden.
Führende Mitarbeiter dieser Firma wie Thorsten Polleit arbeiten auf eine Gesellschaft hin, in
der sozialstaatliche und demokratische Institutionen komplett durch Privatunternehmen
ersetzt sind. Der erst Ende letzten Jahres entlassene Geschäftsführer Markus Krall, trat
wiederholt bei der AFD auf und fordert die Abschaffung des Wahlrechts für Menschen die
Geld vom Staat erhalten. Ein Beirat des bei Degussa Goldhandel ansässigen Mises-Instituts
propagiert, Demokratie sei unnatürlich und komme auch in der Familie, in Firmen und in der
Natur nicht vor.
In Initiativen (Atlas-Initiative), Instituten (Mises-Institut) und Clubs (z.B. Hayek-Club
Münsterland) organisiert, bestehen Verbindungen in die USA, wo solche Bewegungen
ungleich stärker sind. Dort lehnen sog. „Libertarians“ sämtliche Institutionen des
demokratischen Staates ab und stellen das staatliche Gewaltmonopol in Frage. Sie waren auch
an der Erstürmung des Kapitols vor ca. einem Jahr beteiligt.
Im zweiten Teil seines Vortrages berichtete Andreas Kemper von Privatstädten in armen
Ländern als Experimentierfelder für neue neoliberale Wirtschaftsmodelle. Während in Sao
Tome ein Privatstadtprojekt abgewehrt wurde, entstanden gleich mehrere im autoritär
regierten Honduras. Hier sollen Städte gebaut werden, etwa so groß wie Emsdetten, in denen
möglichst alles privatisiert ist: Gesundheitswesen, Bildung, Verkehr, selbst Polizei und Justiz.
Das übernehmen private Sicherheitsdienste und Schiedsgerichte. Auch als Mittel zur
Bewältigung von Migrationskrisen sind solche Privatstädte geplant.
Erschreckende Aussichten, wie die Zuhörer in der anschließenden Diskussion und Fragerunde
konstatierten. Diese, von dem Experten Andreas Kemper sorgfältig recherchierten, doch
relativ unbekannten Fakten der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, ist ihm in seinem
spannenden Vortrag durchaus gelungen und es empfiehlt sich diese Informationen weiter zu
verbreiten um solchen Entwicklungen entgegenzutreten.